Tanzkritik

Ist das noch gut oder kann das weg?

„Drei Meister – Drei Werke“ hinterließ einen zwiespältigen Eindruck, denn nicht alles, was im 20. Jahrhundert revolutionär war, muss heute noch sehenswert sein. Ein Bericht aus dem Festspielhaus St. Pölten mit dem „Ballett am Rhein“ aus Düsseldorf / Duisb

Betrachten wir es als ein Stück Zeitgeschichte: George Balanchines „Rubies“ aus der Juwelen-Trilogie ist mit unseren 2024er Augen gesehen eine Mischung aus Fernseh-Ballett, Broadway-Revue und Hopserlauf, das Ganze mit russischem Akzent. Das Gehirn sagt: Das war 1967 revolutionär, der Bauch sagt: Wann ist Pause? „Rubies“ wirkt völlig aus der Zeit gefallen, woran auch die Musik von Strawinsky, souverän dargeboten vom Tonkünstler-Orchester, und ein wirklich exzellentes Ensemble nichts ändern. Die roten Zirkuskostüme mit ihren billig raschelnden Plastik-Rubinen … lassen wir das. Pause.

Auch „Visions Fugitives“ von Hans van Manen nutzt das Tonkünstler-Orchester (das gleichnamige Stück op.22 von Prokofjew spielend) als Klangkörper, und was van Manen aus den 20 musikalischen Miniaturen macht, ist einfach bezaubernd. Sechs Tänzer:innen in plissee-artigen Catsuits werden auf ihrem Weg über die Bühne für wenige Momente aufgehalten und beginnen untereinander und mit den Zuschauer:innen zu interagieren. Kurz, knackig und keine Dauerschleifen – verdichteter Tanz in höchster Qualität eben. Datum der Uraufführung im Jahr 1990, aber von zeitloser Schönheit. Das Bühnenbild reduziert: eine helle Tanzfläche, die den Farbton des wechselnden Bühnenlichts aufnimmt und Gassen aus schwarzen Stoffstelen, die unsere Sicht auf die Welt, die van Manen für uns geschaffen hat, begrenzt. Ach, warum hat Prokofjew nicht dreimal so viele Vignetten komponiert? Man könnte ewig schauen. Aber leider: Pause.

Aber dann kommt William Forsythe und macht alles kaputt. Das Orchester darf schon in die Kantine, jetzt ist elektronische Musik (Musik?) von Thom Willems angesagt, und so dystopisch wie das klingt, ist es auch. Elf Tänzer:innen teilen sich eine asymmetrisch durch eine Wellenwand geteilte Bühne, die Lichtakzente setzen sie durch einen 5000W starken Scheinwerfer auf Rädern selbst, und wo vorher offene Gassen waren, herrscht jetzt die graue Enge eines Gefängnishofes. Und so müssen sich die Tänzer:innen an sich, an den anderen und an ihrer Location abarbeiten, und das machen sie so gut, dass wir mit ihnen leiden und kämpfen. 1989, also ein Jahr vor van Manens und 22 Jahre nach Balanchines Stück erschienen, kommt „Enemy in the Figure“ aus einer anderen Tanzwelt. Der damals 40 Jahre junge Forsythe will nicht gefallen, er will Räume aus Licht und Bewegung erschaffen; die Tänzer:innen sind nicht seine Erfüllungsgehilf:innen, sondern Teil des kreativen Prozesses, und dieser Prozess ist so fesselnd, dass wir nicht nach dem Warum fragen, sondern uns vom Wie fesseln lassen. 

Und auch wenn da und dort einige Zuschauer:innen vorzeitig den Raum verlassen, bekunden alle anderen ihre große Begeisterung und Empathie mit dem Gesehenen. Der Schlussapplaus ist für alle drei Stücke und ihre Protagonist:innen, und er ist mehr als verdient. Selten sehen wir Companies, die eine so gleichmäßig hohe Qualität aller Performer zu bieten haben, und hier kann man nicht genug die wirklich exzellenten Tänzer loben, was nicht immer und überall selbstverständlich ist. 

Ja, was machen wir jetzt mit Balanchine? Sein Rubies war mal topmodern, ist aber leider nicht zeitlos. Ist das also noch gut oder kann das weg?

Autor: Marcus Jablonski, Festspielhaus-Reporter

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